"Sind nicht Kreuze im Leben wie Kreuze in der Musik, da, um etwas zu erhöhen?" - Ludwig van Beethoven
2022 setzten THE OHOHOHS mit Gastmusiker:innen ein vom Deutschen Musikrat gefördertes Jahresprojekt um: Pandemia – eine musikalische Vanitas. Die Musik aus Pandemiezeiten quer durch die Zeitgeschichte führte durch einen Abend mit erzählten Geschichten um die jeweiligen Komponist:innen. Strukturiert wurde das Programm anhand der acht Phasen der Krisenbewältigung nach Prof. Erika Schuchhardt, und somit entstand ein musikalischer Abend der kollektiven Krisenbewältigung.
Nun soll aus “Pandemia” ein musikalisches Hörspiel (vielleicht in der Art von “Karneval der Tiere” oder “Peter und der Wolf”) entstehen. Geschichten ranken sich um schillernde Persönlichkeiten wie W.A Mozart, dessen Dialog mit seinem Vater auf der Flucht vor den Pocken die entschiedene Impfgegnerschaft desselben beleuchtet oder Freddy Mercury, dessen Leid ihn nicht davon abhielt, bis an sein Lebensende künstlerisch zu Schaffen. Die (zumeist klassischen) musikalischen Werke wurden allesamt im Stile der “Konzertanten Klubmusik” des freien Ensembles “THE OHOHOHS” bearbeitet und so in ihrer musikalischen Sprache in die Jetztzeit geholt.
Krisen konfrontieren uns mit dem Unbekannten, sie überfordern uns, werfen uns auf uns selbst zurück. Auf dem Weg, Krisen zu bewältigen, durchlaufen wir Menschen (nach Prof. Erika Schuchhardt) acht Stadien emotionaler Zustände. Ungewissheit, Gewissheit, Aggression, Verhandlung, Depression, Annahme, Aktivität, Solidarität. Beethovens Zitat aus der Überschrift wird erst durch seine persönliche Krise, die Taubheit, verständlich und zeigt, welch große Kraft in der Überwindung von Krisen stecken kann: Sie lassen uns Berge versetzen! Der künstlerische Umgang mit Krisen drückt auf eine sehr eigene Art diese emotionale Intensivität aus.
Gemeinsam wollen wir auf musikalische Art eine Krise durchleben, teilhaben an den Schicksalen von Komponist:innen quer durch die Jahrhunderte, allesamt getroffen von den großen Pandemien dieser Welt.
Bearbeitung für Klavier, Schlagwerk, Bass, Orchester und Sopran
Die Anrufung der "Königin", der heiligen Mutter Gottes, symbolisiert den Wunsch, den Grund einer Krise dem Reich des Übernatürlichen zuzuschreiben, als Reaktion auf menschliche Verfehlungen und Sünden. Irrationalität herrscht, man sucht Schuldige und richtet den Zorn auf Sie. Der Schrecken beginnt.
Wissen Sie, wie man aus einer Krise wieder herauskommt, wie man sie bewältigt? Sie müssen acht Phasen durchlaufen, zumindest wenn Sie der deutschen Professorin und Kulturwissenschaftlerin Erika Schuchhardt glauben wollen. Sie hat ein Modell erforscht, nach dem das möglich ist. Am Anfang steht die Ungewissheit, gefolgt von einer zweiten Phase der Gewissheit, dann Aggression. Der Mensch versucht anschließend zu verhandeln, fällt in Depression, bevor er in der Annahme endlich verstanden hat. Darauf folgt die Aktivität, und zum Schluss die letzte und achte Phase der Solidarität.
Liebes Publikum, Sie haben heute die Gelegenheit und die Chance, einen solchen Zyklus der Krisenbewältigung als Ganzes zu durchlaufen, in musikalischer Form, denn nach diesem Prinzip der acht Stufen ist der heutige Abend aufgebaut.
Willkommen zum Konzert der OHOHOHS “PANDEMIA - Eine musikalische Vanitas!
Vanitas ist die Vergänglichkeit alles Irdischen nach einem jüdisch-christlichem Glauben. In der ersten Phase, die wir eben schon durchlebt haben, steht die Unsicherheit. Salve Regina, sei gegrüßt Königin, Mutter Gottes. Eine Komposition von Allessandro Grandi, ein italienischer Komponist, der selbst Opfer einer Pestepidemie 1630 in Bergamo wurde. Die Parallelen zur heutigen Corona-Pandemie sind verrückt, denn auch da gab es in der ersten Phase in Bergamo mehr als 6000 Menschen, die starben. Der dänische Autor Jens Peter Jacobsen hat 200 Jahr nach dieser Pest ein Buch über die Pest in Bergamo geschrieben. Darin steht geschrieben:
Gleich im Anfang, als die Pest ausbrach, hatten sich die Menschen in Einigkeit und Eintracht zusammengeschlossen, hatten achtgegeben, dass die Leichen ordentlich und gut begraben wurden, und hatten jeden Tag dafür gesorgt, dass große Scheiterhaufen auf Märkten und Plätzen angezündet wurden, damit der gesunde Rauch durch die Straßen treiben konnte. (…) Vor allen Dingen hatten die Leute früh und spät die Kirchen aufgesucht, einzeln und in Prozessionen, jeden Tag waren sie mit ihren Gebeten da drinnen vor Gott gewesen, und jeden Abend, wenn die Sonne zur Rüste ging, hatten die Glocken aller Kirchen aus ihren Hunderten von schwingenden Schlünden klagend zum Himmel emporgerufen. (…)
Endlich eines Tages, als sie nichts mehr anzufangen wussten, hatten sie vom Altan des Rathauses herab, unter dem Klang von Posaunen und Tuben, die Heilige Jungfrau zur Bürgermeisterin der Stadt ausgerufen, jetzt und ewiglich.
Aber das half alles nicht; es gab nichts, was half. Und als das Volk, das begriff und allmählich fest wurde in dem Glauben, dass der Himmel entweder nicht helfen wollte oder nicht konnte, da legten sie nicht nur die Hände in den Schoß und sagten, dass alles so kommen müsse, wie es kommen sollte, nein, sondern es war, als sei die Sünde aus einer heimlichen, schleichenden Seuche zu einer boshaften und offenbaren, rasenden Pest geworden, die Hand in Hand mit der körperlichen
Krankheit danach ausging, die Seele zu morden, so wie jene ihre Leiber vernichtete. (…) Die Luft war voll von Lästerung und Gottlosigkeit, von dem Stöhnen der Straßen und dem Heulen der Häuser, und die wildeste Nacht war nicht schwärzer von Unzucht, als ihre Tage es waren.
Und so sagten sie sich: „Heute wollen wir prassen, denn morgen sind wir tot!“
Eigenkomposition für Klavier und Schlagwerk.
Eine musikalische Verbindung von barocker Tanz- und zeitgenössischer Clubmusik.
“Heute wollen wir prassen, denn morgen sind wir tot!« – Es war, als hätten sie das in Musik gesetzt, um es auf mannigfaltigen Instrumenten in einem unendlichen Höllenkonzert zu spielen. Ja, wären nicht alle Sünden schon vorher erfunden gewesen, so wären sie es hier geworden, denn es gab keinen Weg, den sie in ihrer Verwerflichkeit nicht eingeschlagen hätten. Die unnatürlichsten Laster blühten unter ihnen, und selbst so seltene Sünden wie Nekromantie, Zauberei und Teufelsbeschwörung waren ihnen wohlbekannt, denn da waren viele, die vermeinten, bei den Mächten der Hölle den Schutz zu finden, den der Himmel nicht hatte gewähren wollen.”
Aus: Die Pest in Bergamo, Jens Peter Jacobsen (1847-1885)
„... Meinen lieben Wolfgang überfühle ein gähliges Halswehe und Carthar, daß er, da er den Carthar in Frühe den 16ten merckte, in der Nacht ein solches stecken im Hals bekam, daß er in Gefahr war zu ersticken. (....) Die Hitze, die ganz erstaunlich war, dämpfte ich nach und nach mit dem pulvre antispas:Hallen: und Gott Lob, in 4 Tagen stund er wieder vom Bethe auf.“
Leopold Mozart schreibt an einen Freund aus Paris. Wie überall in ganz Europa geht die Angst um vor den Blattern, das, was wir heute als Pocken kennen. Der junge Mozart kriegt die Pocken dieses Mal nicht, aber vier Jahre später dann doch, er ist gerade wieder in Wien. Der Vater versucht, ihn in eine andere “Luft” zu führen:
„Der Wolfgang wurde in lederne Lainlachen und Beltze eingewickelt und in den Wagen getragen. Alle sechs Stunden ein Pulver aus sechs Substanzen, dazu Tee von Scabiosen und Myrrhen, zuvor Markgrafen Pulver und Schwarz Pulver. Martialische Behandlungsmethoden! Dass es das überhaupt überlebt hat ist ein Wunder!“ Aber am 10 November 1767 schreibt Vater Leopold: „Te Deum laudamus! Der Wolfgangerl hat die Blattern glücklich überstanden.“
Wir haben heute Abend erst Phase 2 der Krisenbewältigung überstanden, die Gewißheit. Es folgt die Aggression.
Für OHOHOHs musikalisch der Tag des Zorns: Dies Irae
Welch ein Graus wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt, mit Fragen Streng zu prüfen alle Klagen!
Laut wird die Posaune klingen,
Durch der Erde Gräber dringen, Alle hin zum Throne zwingen.
Bearbeitung für Klavier, Schlagzeug, Bass und Sampler
Das Dies Irae (Tag des Zorns) ist ein uralter Gregorianischer Choral. Der Hymnus handelt vom Jüngsten Gericht und wird bei Totenmessen gesungen. Die Tonfolge ist ein durch die Jahrhunderte oft bearbeitetes und zitiertes Thema. Giuseppe Verdis Dies Irae aus seinem Requiem demonstriert auf sehr eindrucksvolle Art und Weise den in Musik gegossenen Zorn Gottes.
Musik: Preludio No. 2 - Antonio Fragoso (1897-1918)
Bearbeitung für Klavier, Schlagzeug und Bass
Der an der Spanischen Grippe 1918 mit nur 21 Jahren verstorbene portugiesische Komponist Antonio Fragoso gilt als der herausragendste portugiesische Komponist des 20. Jahrhunderts. In der Bearbeitung für Klavier, Schlagzeug und Bass führen die Instrumente einen Dialog, sie sprechen miteinander.
Die Spanische Grippe war eine Influenza-Pandemie, die zwischen 1918, also am Ende des Ersten Weltkrieges, und 1920 stattfand. Sie hat zwischen 20 – und 50 Millionen Menschenleben gefordert. Im Vergleich hat der Erste Weltkrieg ca. 17 Millionen Tote gefordert. Diese Grippe war vor allem für Menschen zwischen 20- und 40 Jahren besonders gefährlich. Der portugiesische Komponist Antonio de Lima Fragoso war ein Opfer der ersten Welle 1918. Er hatte gerade nur wenige Wochen vorher sein Studium in Lissabon am Konservatorium abgeschlossen. Er war gerade 21 Jahre alt. (Mehr zu ihm? ...)
Und jetzt – Einstieg in die Phase der Depression, Begegnung mit der Vergänglichkeit.
Ein altes Bildmotiv eines jungen Mädchens, das dem Tod in Gestalt eines Gerippes gegenübertritt, inspirierte Matthias Claudius 1775 zu seinem Gedicht „Der Tod und das Mädchen“. Ein halbes Jahrhundert später griff der junge Franz Schubert diesen Dialog auf, in Form seines gleichnamigen Liedes.
Das Mädchen:
Vorüber! Ach vorüber!
Geh wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.
Der Tod:
Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund, und komme nicht, zu strafen:
Sei gutes Muts! Ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen.
„Der Tod und das Mädchen“ - ein verzweifeltes Flehen des Mädchens, dem gegenüber treten die starren Akkorde des Sensenmanns. Man hört sie schon im Klaviervorspiel.
Musik: Der Tod und das Mädchen - THE OHOHOHS
Bearbeitung des Streichquartetts Nr. 14, d-Moll, op. post., D 810 von Franz Schubert (1797-1828) für Klavier, Schlagwerk, Sopran und Orchester. Eine musikalische Vanitas.
Text: Matthias Claudius, "Der Tod und das Mädchen" (1774).
In der Depressionsphase werden wir mit der unweigerlichen Konsequenz der menschlichen Vergänglichkeit konfrontiert: Dem Tod. Das Vanitas-Motiv in der Kunst beschäftigt sich mit dieser Vergänglichkeit (Vanitas, lat. ”Eitelkeit”). Musikalisch wird das Motiv oft in Form eines “Totentanzes” interpretiert, ein nahezu menschlich wirkender Tod interagiert mit den Lebenden, ruft und lock sie, eine enttabuisierte Form des Todes als greifbares Gegenüber.
Musik: You take my breath away – Freddy Mercury (1946-1991)
Bearbeitung für Klavier, Schlagwerk, Sopran und Orchester.
„Die Unterseite seines Fußes war eine völlig offene Wunde. Er muss schreckliche Schmerzen gehabt haben, aber das sieht man nicht. Man sieht nur einen Mann und sein Schicksal. Aber unabhängig davon, ob er Schmerzen hatte oder nicht, er hat immer seine Leistung erbracht. Er wollte keine Extrabehandlung. Er war so tapfer. Im Nachhinein wäre es so einfach gewesen, eine Diva zu sein, aber so war er nicht.“
Rudi Dolezal, Regisseur
Freddy Mercury - Sänger und Pop-Ikone. Die Band “Queen, was wäre sie ohne ihn. Vor 31 Jahren, 1991, ist er an einer HIV – Infektion gestorben. Über den Zeitpunkt, an dem Mercury von seiner Krankheit erfuhr, gibt es keine klaren Angaben. Laut seiner langjährigen Freundin Mary Austin wusste er auf der QueenTour 1986 schon, dass es seine letzte sein würde. Ein enger Freund will schon vier Jahre früher davon gewusst haben. Mercurys letzter Lebensgefährte, Jim Hutton, erfuhr erst 1987 von dessen HIV-Infektion. In der Biografie des Queen-Gitarristen Brian May heißt es, dass Freddie die Bandmitglieder im Januar 1991 in Montreux versammelt habe, um ihnen die Wahrheit über seinen Gesundheitszustand zu offenbaren.
Am 23. November 1991 unterrichtete Mercury die Öffentlichkeit in einer schriftlichen Erklärung, dass er an AIDS erkrankt sei. Am nächsten Morgen fiel er in ein Koma und starb am Abend in seinem Haus im Londoner Stadtteil Kensington im Alter von 45 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung.
Seine Musik ist unsterblich.
Zeit für die letzte der acht Phasen – THE OHOHOHS haben sie erfahren, gefördert von Neustart Kultur für ihr unglaubliches Projekt. Und jetzt eine Ur-Aufführung; Ihre Corona.Sinfonie. Ihr Motto ist:
Unsere Zeit im Hier und Jetzt ist endlich – also lasst sie uns nutzen!
Der Beweis ist dieses Konzertereignis am heutigen Abend. Erlauben Sie mir zum Schluss daher Paul Celan zu zitieren, der 1948 in seinem Gedicht “Corona” schreibt:
Es ist Zeit, dass man weiß!
Es ist Zeit, dass der Stein sich zu blühen bequemt, dass der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, dass es Zeit wird.
Es ist Zeit.
Musik: Corona-Sinfonie (Uraufführung) - THE OHOHOHS
Eigenkomposition in drei Sätzen für Klavier, Orchester, Schlagwerk, Sopran und Sampler.
Das Werk setzt sich mit der aktuellen pandemischen Situation auseinander und ist Kernstück des Projektes "Pandemia – Eine musikalische Vanitas”. Der ursprüngliche Titel lautete: PANDEMIA – Die kreative Kraft der Krise, und dieser zeigt uns sicherlich deutlich, was eine Krise uns gewiss lehren kann: Unsere Zeit auf Erden ist endlich. Lasst sie uns nutzen!
Fotos von Andreas Mechmann und vier drei eins photography.
Gefördert durch: